Karl Poppers offene Gesellschaft und dessen miserable Durchführung

Karl Popper war ein britisch-österreichischer Philosoph, dessen Wirken vor allem zur Zeit des Nationalsozialismus und des Kommunismus lag.
Als liberaler Gegenentwurf der kollektivistischen Ideologien dieser Epoche entwickelte er seinerzeit das Konzept der offenen Gesellschaft.
Er setzte die Eigenverantwortung des Subjektes in den Mittelpunkt des Weltgeschehens.
Das Individuum sollte mit seinen Entscheidungen und den daraus resultierenden Handlungen alleine die Gegenwart und Zukunft bestimmen.
Seiner Ansicht nach war der Kollektivismus stets Wurzel allen Übels, er war ein großer Kritiker der Staatsphilosophie Platons, des deutschen Idealismus von Hegel und der Werke Karl Marx.
Karl Poppers Werke waren vor allem in den Naturwissenschaften beliebt, da seine Ideologie die reine Vernunft in den Fokus stellte und die Offenheit gegenüber und das Abwägen vieler verschiedener Standpunkte begrüßte.
Kritiker hingegen warfen ihm vor, durch die reine Konzentration auf das Individuum die Wichtigkeit der sozialen Bindungen von Menschen und den Wert von Traditionen und Gemeinschaft zu verkennen.
Soweit zum Überblick.
Die offene, pluralistische Gesellschaft gilt als zentrale Grundlage der derzeitigen Politik.
Der Individualismus beißt sich mit den grundlegenden sozialen Konstrukten Freundschaft, Ehe und Nation. Für die Entwicklung des eigenen Selbst als Maxime menschlichen Handelns sind ebenjene Strukturen im Zielkonflikt. Dieser Artikel soll jedoch nicht bewerten, sondern nur die derzeitige gesellschaftliche Lage darlegen und beschreiben. Aus jenem Grund soll sofort zur Inkonsequenz des Konzeptes übergegangen werden.
Eine auf Individualismus konzentrierte Gesellschaft widerspricht per definitionem Forderungen nach Sozialstaat und – in letzterer Konsequenz – Rechtsstaatlichkeit, und innerer und äußerer Sicherheit.
In einem komplett auf das Individuum konzentrierten gesellschaftlichen System ist jenes sich selbst überlassen. Popper forderte, der Staat solle eine „auf Arbeit beruhende ausreichende Grundversorgung sichern, vor allem aber eine egalitäre Gesellschaftsstrukur“, in der also alle die gleiche Möglichkeit zum Zugang zu zentralen Ressourcen haben.
Dieser Widerspruch von Liberalismus und Gleichheit war in Karl Poppers Biographie selbst begründet, war er doch in seinen Anfangsjahren Mitglied einer Kommunistischen Partei und gelangte erst später zum Liberalismus, vor allem durch den Einfluss seines damaligen Freundes Friedrich von Hayek.
Nehmen wir jedoch einmal an, dies sei in einer auf das Individuum konzentrierten Gesellschaft möglich.
Dann bleiben aber viele Inkonsequenzen zur derzeitigen politischen Situation offen:
Laut Statista betrug die Staatsquote von Deutschland im Jahr 2019 ca. 45,3 Prozent.
Tendenz steigend.
Die Corona-Pandemie legt seit Monaten in Deutschland das Leben der Mehrheit zum Schutz der Minderheit lahm.
Die Bundeswehr wird langsam aufgerüstet, die Investitionen in die innere Sicherheit verstärkt.
Die Schul- und universitäre Bildung ist in den meisten Fällen rein staatlich getragen.
Die Idee Poppers einen offenen Austausch über Ideen und politische Konzepte zu haben, scheitert an einem geradezu miserablen Debattenklima.
Die offene Gesellschaft ist ein liberales gesellschaftliches Projekt mit allen gegebenen Vor- und Nachteilen, von dem man überzeugt sein kann oder nicht.
Wenn man es aber durchführen will jedoch, kann man es nicht halb durchführen.
Persönlicher Individualismus braucht wirtschaftlichen Individualismus, denn niemand kommt für jemanden auf, mit dem er nichts gemein hat.
Wenn man doch dazu verpflichtet wird, werden die Leistungsträger entweder in ihrer Anstrengung resignieren oder jenes Gesellschaftssystem verlassen, weil es keine Identität gibt, was ebenjenen an dieses System hält. Politik ist die Auswahl von Möglichkeiten mit allen dazu gehörigen Konsequenzen.
Karl Popper war ein großer Intellektueller, wenn auch sein Werk gewisse Fragen offen hält, wie die Vereinbarkeit des reinen Individualismus und einer egalitären Gesellschaftsstruktur.
Unseren gewaltigen Sozialstaat mit Poppers liberaler Gesellschaft zu vereinen, wird jedoch auf Dauer schief gehen und schief gehen müssen.

Titelbild: Von LSE library – https://www.flickr.com/photos/lselibrary/3833724834/in/set-72157623156680255/, No restrictions, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=9694262

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