Wer als Liberaler auf strukturelle Probleme in einem Großteil der europäischen Umma hinweist, riskiert es rasch, mit rechtem Gedankengut assoziert zu werden. Liberale Islamkritk unterscheidet sich jedoch fundamental von rechter Islamophobie – und hilft moderaten Muslimen am meisten.

Individuum und Kollektiv:

Die rechte Philosophie kreist um das Vaterland und dessen kollektive Errungenschaften, seine spezifische Identität und Abgrenzung zu anderen Nationen. Rechte sehen in einem Volk nicht als eine Summe an Individuuen auf einem Staatsgebiet, sondern als organisches Wesen mit eigenem, spezifischen Charakter. Diese Personfizierung des Volkes ist am eindrücklichsten am nationalsozialistischen Begriff „Volkskörper“ zu erkennen.

Für den Liberalen hingegen steht das Individuum, dessen Freiheit von Zwang und sein Streben nach Glück im Vordergrund. Für Liberale gibt es nichts Höheres als das Individuum, kein übergeordnetes Ziel, für das sich der Einzelne aufopfern muss. 

Für Rechte ist der Sinn des Einzelnen der Dienst am Kollektivziel, für Liberale ist das Individuum Selbstzweck.

Gesellschaft und Volk:

Dieser gedankliche Gegensatz spielt bei der Sichtweise auf die Kultur eine entscheidende Rolle. Für Rechte ist die landesspezifische Kultur konstituierend, schließlich ist sie die Identität der Nation und diese ist die Identität des Einzelnen. Wenn sich das eigene Volk nicht von anderen unterscheidet, dann existiert es auch nicht als Organismus. 

Wenn die kulturellen Grenzen verwischen, dann müssten die Rechten zugeben, dass ihr Volk letztlich nur eine willkürliche Gruppierung von Menschen ist und kein diskretes Subjekt. Folglich muss die eigene Kultur zwingend bewahrt und nach außen verschlossen werden – denn sonst bricht das Kartenhaus der rechten Logik in sich zusammen. 

Im Gegensatz dazu ist die Kultur aus liberaler Sicht keine Festung, die das Volk vor seinem vermeintlichen Tod durch Invasion bewahrt. Aber auch aus liberaler Sicht sind einige Dinge nicht verhandelbar. Jene Dinge nämlich, die Diskurs und kulturelle Weiterentwicklung überhaupt erst möglich machen: Individualismus, Toleranz und Freiheit. 

Im Rahmen dieser unveränderlichen Grundwerte kann sich durch spontane Ordnung eine Gesellschaft entwickeln. Sie verfügt ungeschriebene Regeln, Werte und Gebräuchen, die sich in den freiwilligen Interaktionen der Menschen ergeben haben. Doch steht der Liberalismus diesen Konventionen völlig agnostisch gegenüber. Aus seiner Sicht ist ein Volk lediglich eine Gruppe von Individuuen, die wechselnde Überzeugungen haben können und in freiwilliger Interaktion eben eine neue gesellschaftliche Norm erschaffen – alles unproblematisch, solange diese nicht bestreben, die Erschaffung einer wiederrum neuen gesellschaftlichen Norm zu verhindern.

Während für das Volksverständnis der Rechten eine starre, sich abgrenzende Kultur essentiell ist, ist die Gesellschaft im Liberalismus wandelbar – solange dies gewaltfrei geschieht. 

Existenz und Bedrohung:

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Rechte sich bewusst oder unbewusst von allen fremden kulturellen Einflüssen in ihrer persönlichen Existenz bedroht fühlen. Denn ihre persönliche Existenz rechtfertigen sie ausschließlich aus ihrer Zugehörigkeit zum Volk. Das erklärt ihre sehr heftigen islamophoben Abwehrreaktionen, auch wenn es sie natürlich keinesfalls rechtfertigt. Rechte hassen und verachten jeden Muslim. Denn egal wie tolerant, wie religiös zurückhaltend liberal dieser ist – er und seine Religion bleiben fremd.

Liberale hingegen sehe jene als Bedrohung, die ihre essentiellen Werte von Freiheit, Selbstbestimmung und Individualismus angreifen. Es ist ihnen dabei egal, welcher Religion die Freiheitsfeinde angehören, welche Sprache sie sprechen und welche Hautfarbe sie tragen. Das heißt selbstverständlich auch, dass Liberale absolut kein Problem mit Muslimen haben, die fest hinter der Freiheit, Toleranz und Individualismus stehen – auch wenn sie die Gesellschaft nachhaltig kulturell verändern.

Für 40% der französischen Muslime stehen ihre eigenen persönlichen religiösen Werte über der universellen Meinungsfreiheit. Der größte deutsche Islamverband DITIB verurteilt in seiner offizielle Predigt unmittelbar nach den Anschlägen in Frankreich die Mohammed Karrikaturen scharf – und gedenkt der Opfer mit keiner Silbe. Auch wenn es bitter ist: Die Attentäter von Nizza und Wien stehen nicht alleine – sondern haben breite Rückendeckung von europäischen Muslimen. 

Das ist ein gewaltiges Problem. Wir haben in Europa eine erhebliche Anzahl von Muslimen, die der Freiheit feindlich gegenüberstehen. Nein, eigentlich haben wir in Europa eine erhebliche Anzahl von Menschen, die der Freiheit feindlich gegenüberstehen. Doch fällt es Liberalen schwer, diese radikalislamischen Freiheitsfeinde als solche zu benennen und auf religiös-institutionelle Strukturen aufmerksam zu machen, in denen sie das Gift der Illiberalität verbreiten. 

Fazit:

Wir Liberale meiden die Islamkritik, weil wir nicht in eine Ecke mit den Rechten gestellt werden wollen.Doch unterscheidet sich der liberale Kampf für Freiheit eben ganz fundamental von rechten Hass auf alles Fremde.

Für Rechte sind alle Muslime eine Bedrohung – egal ob diese illiberal sind oder nicht. Denn fremde Kulturen bedrohen das rechte Weltbild, nicht Illiberalität, da Rechte ohnehin nicht liberal sind. Für Liberale sind lediglich illiberale Muslime bedrohlich. Es ist schlicht die gewaltige Zahl freiheitsfeindlicher Menschen, die ihnen Sorge bereitet, nicht die Fremdheit ihrer Kultur. 

Ich appeliere nicht nur an alle Liberale, im Kampf um die Freiheit nicht mit zweierlei Maß zu messen. Ich appelliere vor allem auch an alle moderaten Muslime, an alle Gläubigen, die Rechststaat und Freiheit über religiösen Fanatismus stellen. Denn kommen erstmal die Radikalen an die Macht, seit ihr als Erste dran.

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