Der Vertrag von Trianon und seine endgültige Fassung sollte sich von Anfang an als wahnsinnig schwierig und insbesondere als kontrovers herausstellen, wenn man bedenkt, dass das Königreich Ungarn nach dem Austritt aus der Doppelmonarchie mit Österreich, nach einer Revolution, die sogenannte „Räterepublik“ ausgerufen und direkt einen Krieg mit Rumänien ausrief, welcher im August 1919 durch den Einmarsch rumänischer Streitkräfte in Budapest und durch die Auflösung der Räterepublik endete. Durch den bereits unterschriebenen Vertrag von Saint-Germaín wurde bereits ein Teil Ungarns an die neue Republik Österreich abgetreten, trotz starker Proteste von ungarischer Seite. Jedoch ohne Erfolg. Nach langen Verhandlungen unterzeichneten ungarische Diplomaten am 4. Juni 1920 im Schloss Trianon den gleichnamigen und berüchtigten Vertrag von Trianon. Zu den Bestimmungen des „Friedensvertrages“ gehörten die folgenden Punkte dazu:

  • Massive Reparationszahlungen, Kriegsschuld, Massive Rüstungsbeschränkungen und Begrenzung der Streitkräfte und wohl der bis zum heutigen Tage der mit Abstand kontroverseste Punkt: Massive Gebietsabtretungen, welche mehr als zwei Drittel des Königreiches Ungarn betrafen. (Auf der Graphik ist das ganze Ausmaß der Gebietsabtretungen gut zu erkennen.)

Nach dem Eintreten der Gebietsabtretungen fanden sich zwischen 2 bis 3 Millionen Magyaren (ethnische Ungarn) außerhalb der neuen Grenzen Ungarns wieder, was bis heute zu massiven Konflikten führt, da die ungarische Gesellschaft über dieses „Trauma“ nicht darüber hinwegkam. Die Magyaren waren selbstverständlich entsetzt und der überwiegende Teil der Gesellschaft forderte sofortigen „Widerstand“ gegen die sogenannte „Siegerjustiz“ der Enténté und der Demütigung. Einer der Gründe, weshalb sich Ungarn im 2. Weltkrieg auf die Seite der Achsenmächte schlug, um die ehemaligen Gebiete Ungarns wieder „zurückzuholen“, da insbesondere Adolf Hitler weitreichende Zusprüche bezüglich territorialem Gewinn machte. Durch den Sieg der Roten Armee an der Ostfront wurden diese Hoffnungen spätestens 1944 im Keim erstickt und die Regierung für ihre Kollaboration mit Nazideutschland bestraft.

Der Friedensvertrag von Trianon ist im Gedächtnis der Ungarn bis heute nicht verarbeitet und nicht vergessen. Die Erinnerung daran, Sie ist für viele Familien eine von Schmerz und Bitterkeit gezeichnete — Der Vertrag von Trianon, er ist seither das nationale Trauma Ungarns.
Seit August 2020 erinnert ein weiteres Monument an die Folgen des Vertrags:
Das „Denkmal der nationalen Zusammengehörigkeit“. Eine Rampe senkt sich in die Tiefe, an den Wänden in Stein gemeißelt, stehen die Namen aller 12.537 Städte und Ortschaften, die vor Kriegsende 1918, noch Teil des Königreichs Ungarn waren. Heutzutage verteilen sich diese Gebiete über die Staaten Rumänien, Polen, Tschechien, Österreich, Ukraine, Serbien, Bosnien- Herzegowina, Italien, Kroatien, Slowenien und die Slowakei.
Name und Gestaltung des Denkmals, geben Aufschluss über das Selbstverständnis vieler Ungarn, die die verlorenen Gebiete noch immer als versprengte Teile ihrer nationalen Identität verstehen, die einer erzwungenen und unrechtmäßigen Teilung, durch die Siegermächte des Westens zum Opfer fielen. Es ist ein Keil, der auch das fehlende Vertrauen der Ungarn in Westeuropa erklärt und wie eine unsichtbare Kluft zwischen den Staaten besteht.
Viele der immensen Folgen, welche die abrupte und schier willkürliche Teilung Ungarns mit sich brachte, wirken bis heute nach und sorgen für Konflikte auf dem Balkan und Mitteleuropa.
Als sich am 4. Juni die Sezession Österreich-Ungarn formalisierte, wohnte plötzlich jeder Dritte Ungar außerhalb seines eigenen Landes. Die neugezogenen Grenzen, entzweiten mitunter ganze Familien, viele von ihnen, die ihre Heimat nicht verlassen wollten, leben Generationen später, noch immer als ethnische Minderheiten in den umliegenden Staaten — Ein Umstand, der noch immer für ethnische und kulturelle Spannungen sorgt.
Es ist vor allem eine Frage nach Identität, Rechten und Rechtmäßigkeit, sowie die nach der Zukunft Ungarns und seiner Nachbarn.
In Ungarn setzt sich insbesondere die nationalkonservative Partei Fidesz, unter Ministerpräsident Viktor Orban, für den Verbleib und die Rechte, der im Ausland beheimateten Ungarn ein.
Die Haltung in Bezug auf die verlorenen Gebiete und die dort lebende ungarnstämmische Bevölkerung, drückt Orban in eine Rede wie folgt aus: „Nur der Staat hat Grenzen, die Nation nicht“. Jedoch ist Orban auch auf Kooperation und gute Beziehungen mit anderen Mitteleuropäischen Staaten wie Polen oder Slowenien angewiesen, gerade bei politischen Fragen innerhalb der EU. Mehr als entsprechende Rhetorik kann sich Orban daher kaum leisten. Sie verschafft der Fidesz jedoch Sympathie innerhalb der eigenen Bevölkerung, sowie bei den Ungarn außerhalb des eigenen Landes, bei denen er so das Gefühl der Zugehörigkeit bekräftigt.
Diese Zugehörigkeit will die Fidesz auch an anderer Stelle mit Taten unterstreichen, wurde 2010 mit überwältigender Mehrheit von 344 zu 8 , die Annahme der doppelte Staatsbürgerschaft für Auslandsungarn per Gesetz möglich gemacht. Das hat auch taktische Vorteile, denn neben der Staatsbürgerschaft, verleiht es ihnen die Möglichkeit, an Wahlen in Ungarn zu partizipieren — der Fidesz kommt dies in Form neuer Wähler zu gute.
Auch an anderer Stelle macht sich Ungarns Regierungspartei für die Interessen der Auslandungarn stark. So unterstützt die Partei Organisationen und Festivitäten, die auf nationale Verbundenheit drängen, wie etwa in Rumänien, im ehemals ungarischen Siebenbürgen, wo noch immer eine große ungarnstämmischen Bevölkerungsgruppe lebt. Dort, im äußersten Teil Siebenbürgen, dem Szlekerland, ist das Bedürfnis nach Autonomie sehr groß. Die Szleker, im Mittelalter die angesiedelten Grenzposten des ungarischen Königshauses, am östlichen Karpatengebirge, finden sich in der Gegenwarty inmitten Rumäniens wieder.
Im rumänischen Parlament vertreten, kämpfen die ungarnstämmischen Volksgruppen für mehr Freiheiten und Sonderrechte in ihrem angestammten Gebiet. Andernorts ist ihre Identität stark gefährdet, wie in der westlichen Karpaten-Ukraine. Dort wurde ein Bildungsgesetz beschlossen, welches die Schließung vieler ungarnsprachiger Schulen bedeutet — für die dortigen Ungarn ein großes Problem, ihre Kinder sollen die Traditionen, Sprache und Geschichte der Heimat lernen, nun fürchten Sie um ihr kulturelles Erbe.

Derartige Reibungspunkte finden sich immer wieder: Beispielhafter Schauplatz eines solchen Konflikts ist ein ungarischer Soldatenfriedhof des ersten Weltkriegs, er liegt heute in Rumänien. Hier treffen ungarische Szleker auf rumänische Nationalisten — trotz Polizei eskaliert die angespannte Situation, die Rumänen stürmen schließlich den Friedhof. Die lokale Auseinandersetzung, Sie wird zur internationalen Krise, als der Rumänische Botschafter nach Budapest einbestellt wird — die Lage ist angespannt, schnell kann diese weiter eskalieren. Trianon ist bis heute, ein kaum zu entschärfendes, interkulturelles Pulverfass, ein Konflikt, der wie ein Damoklesschwert, über Mitteleuropa schwebt.
Auch aus wirtschaftlicher Sicht, deutete der Friedensvertrag auf schwere Zeiten hin. Die vertraglich vorgesehene Abgabe von zwei Dritteln der ursprünglichen Landmasse, bedeutete auch den Verlust des Großteils der landeseigenen Ressourcen, vorwiegend Bodenschätze. Ein herber Schlag, dessen politische und ökonomische Folgen, den langen Weg in die Gegenwart zeichneten.
Jene einschneidende Demütigung, von einem einstigen Großreich, zu einem flächenmäßigen Kleinstaat deklassiert zu werden, sowie die dadurch nachhaltig geschwächte Wirtschaft, führten zu einem bis heute anhaltenden, fast religiös anmutenden Trauerkult, geprägt durch gemeinsame Lieder, Gebete und Versammlungen.
Doch bei allen Zusammenhalt gibt es auch Unmut zwischen den Ungarn Landesinneren und denen in Ausland. Viele von ihnen können schwer nachvollziehen, wenn Ungarn aus dem Ausland zu Lokalwahlen über die Grenze fahren und über eine Politik mitentscheiden, die sie nicht konkret betrifft. In den schwächeren Randgemeinden Ungarns ist die Arbeitslosigkeit oft höher und Korruption ein gängiges Problem. Ortsansässige Ungarn reagieren deshalb ablehnend, Sie vermuten gekaufte Wählerstimmen.
Dennoch, die im Ausland lebenden Ungarn politisch abzuholen ist ein wichtiger Schritt, abseits des wahlstrategischen Kalküls. Ihre Leidensgeschichte beginnt mit dem Zusammenbruch eines Lebens, dem ihrer Vorfahren. Wie ein Roter Faden, zieht es sich wiederkehrend die Generationen hindurch: Der stete Kampf um den Erhalt der Identität und ihrer Rechte, die begleitende Diskriminierung und das Gefühl nirgends zugehörig zu sein, zeichnen noch heute den Alltag vieler Auslandsungarn. Auch wenn eine Rückkehr zu den alten Grenzen mehr als unwahrscheinlich ist und lediglich zu einer Eskalation mit den Nachbarn führen würde, so ist es das Mindeste, das entstandene Unrecht als solches und den Schmerz der Maygaren, in aller Deutlichkeit zu benennen.

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