Die Wahl zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika ist geschlagen. Joe Biden wird am 20. Januar 2021 zum 46. Präsidenten der USA vereidigt werden. In Hinblick auf dieses Ereignis haben wir ein Dossier zusammengestellt, in dem wir den Wahlkampf, die Auszählung und die innenpolitischen sowie außenpolitischen Auswirkungen beleuchten und zusammenfassen, was diese Wahl bedeutet.

Stephanie H. – Die charakterliche Erbärmlichkeit einer Zweckwahl

Die US-Wahlen 2020 strapazierten unsere Nerven in einem Ausmaß, wie man es nie hätte erwarten können. Jede Minute änderte sich das Ergebnis, es wurde knapper und knapper. Doch warum wurde es überhaupt so knapp? Wie kann es sein, dass mit Joe Biden ein Kandidat der Demokraten, der persönlich bis auf seine politische Erfahrung kaum etwas zu bieten hat, einem polarisierenden Politiker wie Donald Trump so nahe kommt und sogar deutlich mehr Stimmen holt? Dazu muss man sich zunächst die Beweggründe der Wähler anschauen. Trump hat sich in den letzten vier Jahren politisch einen Namen gemacht, sich eine Gefolgschaft zugelegt, die treu für ihn als Person kämpft. Der typische Trump-Wähler unterstützt nicht unbedingt die Republikaner als solches, sondern wählt gezielt Trump, den Mann, der ihm verspricht, was er am meisten möchte.
Im Gegensatz dazu ist Joe Biden für viele einfach nur das geringere Übel, da sie Trump nicht wählen können. Der Kandidat an der Spitze ist egal, Hauptsache nicht Trump. Man wählt als Minderheit demokratisch, um die eigenen Rechte zu behalten und sich selbst zu schützen, ob man Joe Biden mag oder nicht. Es gibt Aufrufe, blau zu wählen, nicht Biden zu wählen. Wir wählen blau, weil Donald Trump uns schaden würde, nicht etwa aus demokratischen Ansichten. Ist die US-Wahl überhaupt noch eine demokratische Wahl, wenn man sich gezwungen fühlt, einen Kandidaten zu wählen, den man nicht mal selbst unterstützt?
Die geringe Kluft zwischen Republikanern und Demokraten liegt also weniger an Joe Biden und mehr an der Angst, vier weitere Jahre von einem Egomanen – und Donald Trump ist ohne Zweifel ein solcher – regiert zu werden.
Doch auch der gezielte Wahlkampf der Demokraten in Staaten wie Texas und Arizona erklärt diese sich minimierende Kluft. Man zielt bewusst darauf ab, besonders unentschlossene Wähler auf seine Seite zu ziehen, sich so mit minimalen prozentualen Unterschieden den Gewinn des Bundesstaates zu sichern. Eine gezielte, aber durchaus legitime Taktik, um letztendlich einen Sieg zu erreichen. Joe Bidens Wahlkampf wirkte strukturierter, politischer.
Donald Trump setzt eher auf den Promi-Faktor. Er lädt Individuen wie US-Rapper Lil Pump zu seinen Rallyes ein, um zu zeigen „Seht nur, selbst dieser junge Mensch unterstützt mich.“ Eine Taktik, die sich Donald Trump zu Nutze macht. Mit prominenter Unterstützung die junge Wählerschaft auf seine Seite ziehen, ihre Idole zu Freunden im Wahlkampf machen, auch das ist eine sehr legitime Taktik.

Tilmann Hoerster – Der „Wahlbetrug”, den Donald Trump selbst verursachte

In der Nacht vom 3. Zum 4. November sah es zunächst noch gut für den Amtsinhaber aus. In den meisten Swing States lag er vorne, oft auch mit mehreren Prozentpunkten. Doch dann kamen nach und nach in vielen Staaten die Auszählung der Briefwahlstimmen dran. Da Donald Trump seine Anhänger im Vorfeld der Wahl dazu aufgefordert hatte, nicht per Briefwahl, sondern persönlich im Wahllokal abzustimmen, war unter den Briefwahlstimmen der Anteil an Stimmen für Joe Biden deutlich größer ist als unter den normalen Stimmen. Das wurde von den Medien auch größtenteils so erwartet. Dennoch vermutete Donald Trump dahinter einen groß angelegten Betrug der Demokraten. Eigentlich bizarr: Die Folge dessen, wozu Trump seine Wähler aufgefordert hat, benutzt der jetzt als vermeintlichen „Beweis“ dafür, dass die Briefwahlstimmen gefälscht seien.
Auch in der Vergangenheit hat es bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl kleine Ungereimtheiten gegeben, vereinzelt mögen Stimmauszähler auch einige Stimmen unrechtmäßig ihrem persönlichen Favoriten zugerechnet haben. Das wird vermutlich auch bei dieser Wahl der Fall gewesen sein, und deshalb ist es auch vollkommen in Ordnung, in den Staaten mit besonders knappen Wahlergebnis (beispielsweise Georgia) noch einmal neu auszuzählen. In Pennsylvania könnte es – bleibt es bei einer Differenz von unter 0,5% – sogar zu einer automatischen Neuauszählung der Stimmen kommen. In anderen Staaten hat Trump das Recht, eine Neuauszählung anzufordern. All das ist vollkommen normal und kam in der Vergangenheit auch schon vor.
Das Problem für Donald Trump ist, dass vereinzelte Ungereimtheiten in einigen Staaten nicht ausreichen werden, um das Ruder noch rumzureißen. Deshalb spricht er auch nicht mehr davon, diese einzelnen Unstimmigkeiten untersuchen zu wollen, sondern sah schon Wochen vor der Wahl „den größten Wahlbetrug in unserer Geschichte“ kommen; und schon bevor die Stimmen ausgezählt worden waren, stand für ihn fest, dass ihm die Wahl gestohlen werde. Hierfür konnte er bislang noch keine Beweise liefern, auch wenn seine Rechtsabteilung eifrig damit beschäftigt ist, Fehler in dem Auszählungsprozess zu finden und gerichtlich dagegen vorzugehen. Mitunter bekamen sie vor den Gerichten auch recht – in Pennsylvania beispielsweise dürfen die Wahlbeobachter nun näher an die Auszählung heran – Beweise für eine große Wahlfälschung durch die Demokraten waren noch nicht darunter. Den einzigen „Anhaltspunkt”, dass unter den Briefwahlstimmen ein großer Anteil Biden-Wähler sind, hat Donald Trump selber verursacht. Eine Strategie?
Einen Präsidenten, der – ohne Anhaltspunkte dafür zu haben – der gegnerischen Partei schwerste Vorwürfe wie eine systematische Wahlfälschung macht, gab es im modernen Amerika nicht. Es stellt sich die Frage, wann die Republikaner Trump (und damit vielleicht auch den Trumpismus) fallen lassen. Denn früher oder später müssen sie es – Präsident wird Trump nämlich nicht bleiben.

Matthias K. – Der Populismus hält Einzug

Seit knapp 24 Stunden steht es fest: Joe Biden wird der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Sein Sieg im Electoral College dürfte gar nicht so knapp ausfallen, auch wenn in manchen Staaten nur wenige Tausend Stimmen den Ausschlag geben. Nun liegt es an ihm, in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit als (vermutlich) erster Präsident seit George W. Bush trotz eines Senats, der von der Oppositionspartei kontrolliert wird, Ergebnisse zu liefern. Für Donald Trump bleibt nur die Schmach; er wurde als erster Präsident seit George H. W. Bush nach einer Amtszeit nicht wiedergewählt. Einerseits konnte Trump deutlich mehr Stimmen als noch vor vier Jahren für sich reklamieren. Dennoch musste er einige schmerzhafte Niederlagen in Schlüsselstaaten hinnehmen. Besonders wichtig sind die knappen Niederlagen in Staaten des Rust Belt wie Wisconsin, Michigan oder Pennsylvania, in denen er vor vier Jahren die ‘blue wall’ regelrecht aufgelöst hat. Diese führen dazu, dass er das Amt, welches er seit Anfang 2017 innehat, in etwa zwei Monaten wieder abgeben muss.
Die republikanische Partei kann aber zumindest mit gemischten Gefühlen auf diese Wahl zurückblicken. Das hat zwei relevante Gründe: Erstens hat sie im Repräsentantenhaus einige Sitze dazugewonnen, nur mehr wenige Stimmen trennt sie von den Demokraten, die hier wie vor zwei Jahren die Mehrheit davongetragen haben. Zudem behalten sie vermutlich die Kontrolle im Senat. Andererseits, und das ist langfristig sicher der wichtigere Grund, haben die Republikaner etwas Wichtiges aus dieser Wahl lernen können: Mit Populisten kann man Wahlen gewinnen.
Als Trump vor vier Jahren gewählt wurde, entschieden sich viele Wähler, einem Mann zu vertrauen, der nicht wie ein typischer Politiker – und das war Trump eindeutig nicht – auftrat, sprach und handelte. Sie vertrauten einem Geschäftsmann, ihnen die Jobs zu geben, die sie so dringend brauchten, sie vertrauten ihm, Amerika wieder groß zu machen. Vielen von ihnen war nicht zwangsläufig klar, welche politische Haltung Donald Trump im Weißen Haus tatsächlich umsetzen würde. Er heizte mit seiner Sprache, mit seinen Rallyes und seinen Tweets die Stimmung im Land auf, dennoch konnte man vor seinem Amtsantritt nur wenige Schlüsse ziehen, wie er regieren würde.
Vier Jahre später sind wir schlauer, was die politischen Ziele, Positionen und Ansichten von Trump angeht. Trump ist kein moderater Republikaner, wie sie beispielsweise die Präsidentschaftskandidaten Romney oder McCain vor ihm waren. Er ist nicht mehr ein Angebot an moderate Demokraten, die von der eigenen Partei enttäuscht sind, weil sie zu weit nach links ausweicht. Trump ist ein Angebot an Menschen, die immer Republikaner waren, die ihre Freiheit, ihre Jobs und ihre Waffen bedroht sehen, aber Kandidaten des Establishments nicht wählen, weil sie ihnen zu moderat, zu starr, zu wenig repräsentativ sind. Diese Menschen bringt Trump an die Wahlurnen wie wenige Kandidaten vor ihm. Trump hat die Wahl verloren, ja. Aber die Republikaner wissen jetzt, dass diese Strategie nicht zwingend zum Verlieren verdammt ist.
Man darf nicht vergessen, dass Trumps Wahlkampf von Corona regelrecht gekapert wurde. Er wollte darüber reden, dass er in den USA Jobs geschaffen hat, dass er die Wirtschaft der USA angekurbelt hat, dass er die Interessen der Amerikaner vertreten hat. Stattdessen musste er sich anhören, dass mehrere Millionen ihre Jobs und Hunderttausende ihr Leben in der größten gesundheitlichen Krise der vergangenen Jahrzehnte verloren haben. Trumps Versagen in der Pandemie, so könnte man jetzt postulieren, hat ihn die Wahl gekostet – wir werden es niemals erfahren. Dennoch scheint es nicht unwahrscheinlich, dass Trump etwa die vierzigtausend Stimmen, die ihm (zum Redaktionsschluss) in Pennsylvania gefehlt haben, durchaus hätte lockermachen können.
Und so ist diese Wahl in gewisser Hinsicht durchaus eine Bestätigung eines populistischen Kurses in der republikanischen Partei. Es sind noch lange nicht alle Stimmen ausgezählt und Donald Trump hat bereits einige Millionen Stimmen mehr geholt als bei seiner ersten Wahl. In Staaten, welche als enge Rennen prognostiziert wurden, hat er mit deutlichem Abstand gewonnen; Florida und Ohio sind nur zwei davon. Trump hat – und daran ändert auch die Niederlage beim popular vote nichts – erneut in Scharen Wähler an die Wahlurnen geholt, die einen Politiker mit langjähriger Erfahrung, einem professionellen, unaufgeregten Auftreten und einer konservativen, aber moderaten Agenda nicht einmal schief angeschaut hätten.

Bei den Wahlen vor zwölf und vor acht Jahren sind die Republikaner mit Kandidaten gescheitert, die links von der Stammbasis die notwendigen Stimmen nicht gebracht haben. Vor vier Jahren hat man mit einem Kandidaten gewonnen, der sogar die politische Mitte den moderaten, ganz und gar nicht linksprogressiven Gegenkandidaten überlassen hat und sein Heil in politisch weit rechten, erzkonservativen Menschen gesucht hat, die selten wählen gehen, weil sie von Kandidaten des Establishment nicht überzeugt sind. Auch, wenn man heuer den Sieg nicht davongetragen hat, so war man doch auf jeden Fall dicht dran.

Zudem ist in den vergangenen Jahren die Polarisierung in den USA stark fortgeschritten, und es ist fraglich, ob der president elect Biden diesen Trend umkehren kann. Dafür sollen kurze Beispiele genannt sein: Senator Lindsey Graham, der Trump in den ersten Jahren seiner Amtszeit noch stark kritisiert hat, ist inzwischen ein Symbol dafür, wie sich die gesamte Partei deutlich konservativer und populistischer ausgerichtet hat. Speziell bei der Ernennung des Höchstrichters Brett Kavanaugh war gut zu erkennen, wie Republikaner einen Kandidaten, gegen den sich viele Moderate entschieden gestellt hätten, durch die Bestätigung getragen haben. Auf der anderen Seite gehören eindeutig progressive Politiker wie Bernie Sanders oder Alexandria Ocasio-Cortez, die sich als ‚demokratische Sozialisten‘ bezeichnen, inzwischen schon zu Ikonen der Demokraten, was auf einen deutlichen Linksruck in der Partei hindeutet, nicht zuletzt die eher linksliberale Vizepräsidentin Kamala Harris deutet darauf hin, die vor allem in der Schlussphase des Wahlkampfes einige progressive Gesetze angedeutet hat. Die Neuausrichtung beider Parteien ist nicht zuletzt der Unterstützung der Bevölkerung geschuldet, haben doch sowohl Trump als auch Sanders (der letztendlich nicht gewonnen hat) durchaus erfolgreiche Vorwahlen geführt. Und so werden es republikanische Kandidaten in der Zukunft, die es mit populistischen Vorschlägen, reißerischer Rhetorik und verkürzten Statements auf Twitter versuchen, sicherlich leichter haben als noch vor zehn Jahren.

Liyun Gothõni – Gesellschaftsspaltung und außenpolitische Katastrophe

Das amerikanische Volk hat gesprochen und seinen nächsten Präsidenten gewählt. Das ist Demokratie, und jeder hat das zu akzeptieren. Sollte es notwendig werden, wird der Supreme Court die Vorwürfe des Wahlbetrugs untersuchen; ob das Auswirkungen auf das Ergebnis hat, werden wir danach erfahren. So oder so gewinnt die Demokratie. Es gilt jetzt in Zeiten höchster Anspannung und Polarisierung die Vereinigten Staaten wieder zu vereinen. Martin Luther King Jr. würde bittere Tränen weinen, wenn er das Amerika sehen würde, von dem er einst geträumt hat, ein Land, in dem Menschen aller Hautfarben friedlich und gleichberechtigt zusammenleben, ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Doch die letzten Monate haben, um es überspitzt zu formulieren, den Charakter eines „Rassenunruhen“ gehabt und für landesweite Unruhen gesorgt, welche die USA seit den 60ern nicht mehr erlebt haben. Joe Biden hat in seiner Siegesrede die notwendige Heilung angesprochen, doch es liegt an allen Politikern, mit der Heilung zu beginnen, vom Präsidenten über den Senator bis zum einfachen Kongressabgeordneten. Diese Heilung wird lange und anstrengend, und es wird sich erst zeigen, ob Joe Biden überhaupt so geeignet ist, wie er und seine Parteibasis immer betonen, denn er muss die Führung bei diesem Heilungsprozess übernehmen. Durch die acht Jahre der Obama/Biden Administration sind vor allem seine außenpolitischen Standpunkte bekannt und diese könnten, gelinde gesagt, katastrophal enden. Die angekündigte Rückkehr zum Iran Nuklear Deal, welche dem Mullah Regime unzählige Milliarden Dollar zugestehen würde, während der Iran weiterhin im Geheimen ihr Nuklearprogramm weiterführt, ist nur einer der Vorschläge, die Sorge bereiten muss. Kamala Harris hat angekündigt, hunderte Millionen an die Fatah auszuschütten (Die Regierung in den Autonomen Palästinensischen Gebieten), welche das Geld bisher weder für medizinische Versorgung, die Infrastruktur, Bildung oder sonstiges ausgegeben hat; stattdessen für prunkvolle Paläste der Führungselite und Terrorattacken auf Israel. Trumps Abraham Accords zwischen Israel und mehreren arabischen Staaten war ein Meilenstein, welcher vor einigen Jahren noch absolut undenkbar waren, doch dank der genialen Diplomatie Jared Kushners war plötzlich die Hoffnung auf Koexistenz und Frieden im Nahen Osten mehr als nur möglich. Man kann nur hoffen, dass keine diplomatischen Rückschritte und keine Destabilisierung folgen in einer Region, die seit so langer Zeit so unendlich viel Leid gesehen hat. Es ist nach all den außenpolitischen Ankündigungen jedoch schwer vorstellbar, dass die Biden/Harris Administration die hoch gesetzten Erwartungen außenpolitisch erfüllt. Die acht Jahre unter Obama sind vielleicht nur ein Vorbote dessen, was noch kommen mag. Das Schicksal des Nahen Ostens und die Sicherheit und die Beziehungen zu Israel liegen ab dem 20.01.2021 in den Händen von Joe Biden. Ob er dafür überhaupt der richtige Mann ist? Das wird sich wohl noch zeigen. Alles in allem wird große Veränderung auf uns zukommen – sei es innenpolitisch oder außenpolitisch – gut oder schlecht. Eins steht aber garantiert fest: Die gesellschaftliche Spaltung und die maximale Anspannung werden bestehen bleiben.

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